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Experimentieren, Untersuchen, Hören – Auditive Wahrnehmungsförderung in der Grundschule

„Ich würde dich gerne verstehen"

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsschwächen beeinträchtigen die Entwicklung von Sprach- und Sozialkompetenz. Mit spielerischen Aufgaben und Wahrnehmungsübungen können Sie präventiv und gezielt Kinder im Unterricht unterstützen.

Experimentieren, Untersuchen, Hören – Auditive Wahrnehmungsförderung in der Grundschule: „Ich würde dich gerne verstehen" Geräusche mit dem eigenen Körper erzeugen und differenzieren © VectorMine - stock.adobe.com

Veröffentlicht 19.06.2023 - Kinder und Jugendliche sind im Alltag vielen Geräuschen und Hörreizen ausgesetzt. Zu Hause durch Geschwister, Medienüberreizung, Verkehr, Küchengeräte und vieles mehr. In der Schule ist es die Lärmbelästigung durch große Klassen, Stühle rücken oder lautstarke Auseinandersetzungen. Akustische Phänomene sind sehr unterschiedlich und können unter Umständen unangenehme Gefühle erzeugen. Die auditive Wahrnehmung ist die Fähigkeit, Geräusche und Töne wahrzunehmen und über das Gehirn zu verarbeiten. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für den Schriftspracherwerb und die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes. Leider zeigen immer mehr Schüler/-innen schon in der Grundschule Hörverarbeitungs- und Hörwahrnehmungsschwächen. Dies hat enorme Auswirkungen auf das Erlernen von Lesen und Schreiben. Der Reifungsprozess der kindlichen Hörwahrnehmung ist mit dem Eintritt in das Schulalter noch nicht abgeschlossen. Daher ist die Förderung der auditiven Wahrnehmung und Verarbeitung ein wichtiger Bestandteil im Grundschulunterricht und gehört zum Bildungsauftrag. Bei einer gezielten Förderung können Defizite aufgefangen und Verhaltensprobleme möglicherweise verhindert werden.

Hinweise auf Hörschwächen

Die Symptome treten meisten ab der zweiten oder dritten Klasse auf. Hilfreich sind kurze Dokumentationen über das Verhalten der Schüler/-innen, bei denen Sie eine Wahrnehmungs- und Verarbeitungsschwäche vermuten. Darauf können Sie Ihre Unterrichtseinheiten aufbauen und im Fachunterricht integrieren. Bei einem dringenden Verdacht muss bei einem Elterngespräch abgeklärt werden, ob ein Arztbesuch notwendig ist. Folgende Symptome bei Schüler/-innen können auf eine mögliche Schwäche in der auditiven Wahrnehmung hinweisen:

  • Die Konzentration im Unterricht ist gestört.
  • Die betroffenen Kinder können nicht lange zuhören und wirken zerstreut.
  • Ähnlich klingende Wörter oder Laute können schlecht unterschieden werden.
  • Die Schüler/-innen fragen häufig nach, wenn ein Inhalt verbal erklärt wurde.
  • Die Kinder sprechen nicht gerne oder werden verhaltensauffällig.
  • Schallquellen können schwer lokalisiert werden. Dabei kommt es möglicherweise auch zu Problemen im Straßenverkehr.
  • Bei einem hohen Lärmpegel reagieren die Schüler/-innen gereizt.
  • Die Schüler/-innen können sich sprachliche Anweisungen oder Gehörtes schlecht merken.
  • Es entstehen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.
  • Sie brauchen viel persönliche Ansprache und mehr Zeit, um Aufgaben zu lösen.

Praktische Anregungen, die auditive Wahrnehmung im Unterricht zu fördern

Verschiedene Übungen lassen sich in unterschiedlichen Fächern gut implementieren. Sie können auch spontan in Phasenübergängen, als ritualisierte Unterrichtsanfänge oder zum Abschluss täglich eingebaut werden.

Wahrnehmen und Differenzieren

Differenziert hören zu können, ist von großer Bedeutung, um sich im Alltag gut zurecht zu finden. Dazu gehören Anweisungen zu verstehen, Fahrzeuge im Verkehr wahrzunehmen oder Gefahren zu erkennen.

  • Im Gespräch erarbeiten die Schüler/-innen, welche Geräusche sie kennen. Die Ergebnisse werden visualisiert. Beispiele:
  • Geräusche aus der Schule: auf dem Schulhof, in der Turnhalle
  • zu Hause: in der Küche, im Wohnzimmer, im Kinderzimmer
  • auf dem Spielplatz
  • im Verkehr
  • Mittels eines Audioclips, zum  Beispiel: „Geräusche - Sammler“, hören die Schüler/-innen  verschiedene Geräusche aus dem Alltag und müssen sie erkennen und benennen.
  • Im Plenum herausfinden: Welche Geräusche sind angenehm? Welche Geräusche sind unangenehm?

Aufmerksamkeit und Konzentration

  • Alle drehen sich auf ihren Stühlen herum. Dann erzeugt die Lehrkraft im Klassenraum Geräusche mit verschiedenen Gegenständen. Diese müssen erraten werden. Beispiele: eine Tür öffnen und schließen – mit den Fingern schnipsen – Papier zerreißen – ein Buch auf- und zuklappen – den Wasserhahn laufen lassen – einen Ball auf den Boden tippen.
  • Mehrere Geräusche werden hintereinander mit unterschiedlichen Materialien hinter einem Vorhang/Paravent gemacht. Die Schüler/-innen müssen diese erkennen und anschließend in der richtigen Reihenfolge nennen.
  • Sitzkreis: in der Mitte liegen mehrere Klangkörper (Trommel, Klangschale, Holzstäbe, Esslöffel, etc.). Alle schließen die Augen, während ein Kind damit Klänge erzeugt, jedoch eines weniger als die Anzahl der Geräte. Die anderen müssen erraten, welcher Klangkörper gefehlt hat.
  • Selektives Hören: Bis auf zwei Schüler/-innen schließen alle die Augen. Die Lehrkraft spielt einen Audioclip an, zum Beispiel ein fahrendes Auto. Gleichzeitig machen die beiden ausgewählten Schüler/-innen Geräusche mit Gegenständen aus der Klasse. Die Hintergrundgeräusche – wie das fahrende Auto - müssen erkannt werden.
  • Der/die Lehrer/-in nennt zu Beginn der Stunde drei oder vier Wörter. Die Schüler/-innen müssen sich diese merken. Am Ende der Stunde wird abgefragt, wer die Wörter behalten hat. Beispiele: Wetter – klettern – Wette - Watte

Vokal- und Konsonantenunterscheidung

  • Die Schüler/-innen schließen die Augen. Die Lehrkraft nennt der Reihe nach verschiedene einsilbige und mehrsilbige Wörter. Diese müssen erkannt, wiederholt und entsprechend der Silbenanzahl zugeordnet werden.
  • Ähnlich klingende Wörter sollen erkannt und erklärt werden. Beispiel: wund – Mund, breit – bereit, beim – Bein etc.
  • Buchstaben-Verlosung: Die Schüler/-innen ziehen aus einer Lostrommel Zettel mit Wörtern, bei denen jeweils ein Vokal oder Konsonant fehlt. Die Wörter müssen laut vorgelesen und die richtigen Buchstaben ergänzt werden. Beispiel: D_ache, Aut_.
  • Wörterkette: Die Lehrkraft nennt ein Wort. Der/die nächste Schüler/-in nutzt den letzten Laut dieses Wortes und bildet damit ein neues. Beispiele: Ball – Lampe – Essen – Nashorn, usw.
  • Silben trennen: Eine/e Schüler/-in steht auf und beginnt. Mit dem Arm auf ein anderes Kind zeigen und dessen Namen in Silben trennen. Das angesprochene Kind macht weiter. Beispiel: „Hallo Em-ma“. Emma sagt: „Hallo Na-tha-lie“. usw.

Forschen, Experimentieren – Beobachten und Beschreiben – Dokumentieren

Je mehr Grunderfahrungen Schüler/-innen durch Erforschen von Geräuschen, Experimentieren mit Klängen oder das Differenzieren von Tönen machen, desto besser kann sich die auditive Wahrnehmung entwickeln. Übungen dazu müssen mit dem täglichen Leben verknüpft sein. Die Ergebnisse des Forschens oder Experimentierens werden dokumentiert und die Handlungen beschrieben.

Forschungsstationen:

Die Schüler/-innen erhalten Karten, auf denen sie für verschiedene Stationen ihre Aufgaben finden und die Ergebnisse eintragen können.

Karte/Station 1
Geräusche sammeln: Die Schüler/-innen laufen in kleinen Gruppen durch den Raum und finden alles, mit dem man Geräusche erzeugen kann. Die Ergebnisse werden notiert und später vorgetragen.

Karte/Station 2
Diese Aufgabe muss auf dem Schulhof gelöst werden. Dabei wechseln sich die Gruppen ab, welche jeweils hinaus gehen. Welche Geräusche können draußen durch genaues Hinhören gesammelt werden?

Karte/Station 3
Mit verschiedenen Gegenständen (Stock, Trommel, Esslöffel, Flöte etc.) sollen auf unterschiedliche Art und Weise Geräusche erzeugt werden. Wie kann man laute und leise Töne erzeugen? Was muss man dabei machen?

Karte/Station 4
Verschiedene Materialien liegen bereit: Stoffe, Teppichreste, Papier etc. und Gegenstände, um Geräusche zu erzeugen. Was kann man tun, um bestimmte Geräusche (beim Trommeln, Stampfen, Klatschen etc.) zu dämpfen?

Verschiedene Übungen:

  • Kleingruppen: Jede Gruppe hat eine Kanne Wasser und eine Tasse. Jeweils ein/e Schüler/-in  schließt die Augen. Aufgabe: Versuche, die Tasse mit Wasser zu füllen, ohne dass sie überläuft. Auf das Geräusch achten!
  • Die Schüler/-innen schließen die Augen. Die Lehrkraft gießt nacheinander Wasser aus einer Kanne in verschiedene Gefäße: ein Glas, ein Metallbecher, ein Eimer etc. Die Schüler/-innen müssen erraten, in welches Gefäß das Wasser geschüttet wurde.
  • Die Kinder schließen ihre Augen. Ein ausgewähltes Kind erzeugt Klänge mit einem Instrument und bewegt sich dabei durch den Klassenraum. Die anderen müssen erkennen, wann es näher kommt oder wieder weggeht.
  • Die Schüler/-innen legen ihre Hand auf den Bauch und sprechen oder schreien laut. Was passiert dabei im Körper? Kann man es spüren? Wie fühlt sich das an? Wie ist es, wenn man flüstert? Was ist anstrengender?
  • Je zwei Schüler/-innen stehen sich in großem Abstand gegenüber. Nun sprechen alle gleichzeitig mit Ihrer/m Partner/in. Was wird verstanden?
  • Eine gute Übung für Kinder mit auditiven Wahrnehmungsschwächen ist, Anweisungen oder Aufgaben laut vorlesen und erklären zu lassen.

Geräusche mit dem eigenen Körper erzeugen und differenzieren

  • Ausprobieren: Welche Geräusche kann man mit dem Körper erzeugen. Beispiele: Klatschen, Stampfen, pfeifen, trampeln, auf die Beine schlagen, etc.
  • Alle schließen die Augen, Der Reihe nach erzeugt ein Kind ein Percussion-Geräusch mit dem Körper. Die anderen müssen raten, wie oder womit der Klang erzeugt wurde.
  • Lassen Sie Reime oder Sätze durch Trommeln oder Stampfen begleiten.
  • Körperorchester: Die Klasse wird in Gruppen eingeteilt, die jeweils verschiedene Geräusche mit dem Körper machen. Beispiel:
    • Gruppe A findet einen Stampfrhythmus
    • Gruppe B trommelt synchron auf den Oberschenkeln
    • Gruppe C schnippt mit den Fingern
    • Mit den selbst hergestellten Rhythmen lässt sich ein Konzert erstellen oder eine Musik begleiten. Eine sehr gute Anregung dazu finden Sie in diesem Film, der in der Corona-Zeit entstanden ist.

Schüler/-innen mit Verarbeitungs- und Wahrnehmungsschwächen bedürfen einer besonderen Unterstützung. Wenn die Gründe für abweichende Verhaltensweisen nicht richtig zugeordnet werden, kann das enorme Folgen für die Betroffenen haben. Eine frühzeitige Erkennung und eine Kooperation mit den Eltern sind daher besonders wichtig und wertvoll. Gezielte Anregungen von Seiten der Schule können die Zusammenarbeit unterstützen.

Angela Hentschel


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