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Hilfestellung bei ASS

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) erkennen & verstehen

Wie verhalten sich Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen – und vor allem warum? Hier bekommen Sie Infos aus der Praxis und Tipps, wie Sie diesen Kindern helfen können. 

Hilfestellung bei ASS: Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) erkennen & verstehen Kinder mit ASS fallen in der Klasse meist auf © LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com

„Also die Emily, die ist irgendwie komisch. Sie ist nett und freundlich, aber irgendwie komm ich nicht zu ihr durch. Dann erkläre ich ihr, wie sie die Aufgabe hinschreiben soll, immer mit Zwischenergebnis und sie sagt, „o.k.“. Komme ich später wieder an ihren Platz, steht die Aufgabe wieder genauso ohne Zwischenergebnis da. Sie schreibt immer direkt das Ergebnis auf. Und so passiert es am laufenden Band.“ Das berichtete eine Kollegin über eine Schülerin aus Klasse eins. Eine andere Kollegin beklagte sich über Bert aus Klasse zwei. „Bert ist albern und äfft immer mal wieder Kinder nach und lacht sich darüber kaputt. So wird er langsam zum Klassenclown. Ich habe schon oft darüber mit ihm gesprochen, dass die Kinder das unangenehm finden oder dass es zu großer Unruhe und Ablenkung in der Klasse führt, wenn dann auch andere mitlachen. Der Junge ist jedes Mal einsichtig, sagt auch, dass will er auf gar keinen Fall. Seine Aufgaben erledigt er meist so, wie er es sich denkt. Ich habe das Gefühl, er hört gar nicht zu. Wenn er die Aufgabe erneut machen muss,  ist er meist überrascht, dass es so nicht stimmte, wie er es gemacht hatte. Zwischendrin achtet er immer peinlichst genau darauf, dass der Tageskalender richtig gesteckt ist und der Pfeil des Tagesplan auf das richtige Unterrichtsfach zeigt. Bevor dass nicht in Ordnung ist, kann er nicht an seinen Aufgaben weiterbearbeiten.“

Hintergründe für das „Verhalten“ von ASS Kindern

Die beiden Einblicke beschreiben Kinder, die dem autistischen Spektrum zugeschrieben werden. Früher unterschied man drei Kategorien von Autismus den

  • „frühkindlichen Autismus“,
  • „Asperger Autismus“ und den
  • „atypischer Autismus“.

Da es sich in der Praxis inzwischen herausgestellt hat, dass es oft sehr individuelle Formen des Autismus gibt, spricht man „nach neuesten diagnostischen Standards (DSM-5) von einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS)“ mit verschiedenen Schweregraden der auftretenden Probleme. Die frühkindliche Entwicklungsstörung wird wie folgt charakterisiert:

  • Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion
  • Restriktive, repetitive Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten

Diese beiden Kriterien zeigen auch Emily und Bert, jeder in seiner individuellen Ausprägung. Die für uns „irgendwie seltsam“ erlebten Verhaltensweisen, sind Strategien, um mit ihrer abweichend ausgeprägten Wahrnehmung zurecht zu kommen. Ihre Wahrnehmungsstörung führt in unterschiedlichen Bereichen zu einer hohen Rigidität und Fixierung im Verhalten. Dies kann dazu dienen, sich vor überlastender Reizerhöhung zu schützen. Schüler und Schülerinnen mit ASS hoffen dadurch den Alltagsanforderungen und ihren Aufgaben gerecht werden zu können. Hier ergibt es Sinn durch Schülerbeobachtung herauszufinden, welche Sinnesreize zu Stress und Überforderung führen. Meiner Erfahrung nach handelt es sich häufig um die akustische Überforderung. Die Lautstärke und die vielen unterschiedlichen Geräusche in der Klasse erschweren ein gezieltes Zuhören. Hinzu kommt oft noch die Unmöglichkeit, das für den Unterricht Wichtige (zum Beispiel eine neue Art der Aufgabenstellung) aus der verbalen Kommunikation herauszufiltern. 

Hilfestellung im Schulalltag

Kinder mit ASS mögen Routine, Transparenz und Rituale. Das gibt ihnen Sicherheit und Aussicht auf Erfolg, in einer für sie oft chaotisch erlebten Welt. Unvorhergesehenes und Neuigkeiten machen sie oft unruhig und orientierungslos. Klassenraumwechsel, Vertretungsstunden, unangekündigte Proben für Aufführen und so weiter, sollten daher möglichst früh und mehrmals dem ASS Kind mitgeteilt werden. 

Schüler und Schülerinnen mit ASS haben in ihrem individuellen Maß oft wenig oder keine ausgeprägten Sensoren für unausgesprochene Verhaltensregeln und Empfindungsverstehen (Empathie). Weint jemand, kann es sein, dass sie nur die Flüssigkeit, die aus den Augen tritt, wahrnehmen. Das kann zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führen, wie „Faszination, Lachen oder Erstaunen“. Sie verbinden mit Weinen nicht automatisch Traurigkeit. Denn sie haben auch schon gesehen, dass Tränen bei Freude und bei Wind fließen können. Sie müssen erst die entsprechenden Zuordnungen lernen.

Dies gilt auch für viele andere emotionale und soziale Situationen. Kinder mit ASS müssen ihre oft mechanistische Wahrnehmung um emotionale und differenzierte Zwischentöne erweitern lernen. Sie brauchen uns Lehrer und Lehrerinnen dazu, ihre Welterfahrung vor allem im sozialen Kontext zu erweitern. Es führt zu nichts, wenn wir sie für „ungebührliches“ Sozialverhalten bestrafen. Sie brauchen hier Unterstützung durch aufklärende Worte und Übung. Angebote zu Rollenspielen, können hier sehr nützlich sein. Es braucht meist einige Zeit, bis sie das neue Verhalten praktizieren, denn sie bauen es in ihre meist starre Logik ein. Doch einmal gelernt, ist gelernt. 

Mirko und die rote Mütze

Ich hatte an meiner Schule einen Jungen. Er hieß Mirko und hatte ASS, was in den 90er Jahren noch als Asperger Autismus diagnostiziert wurde. Er lief in der Pause immer einem bestimmten Mädchen hinterher und riss ihr die rote Mütze vom Kopf. Das Mädchen weinte und Mirko lief mit der Mütze weg und sie hinterher. Mirko lachte und freute sich. Das ging natürlich gar nicht. Nach einigen Unterhaltungen bekamen wir heraus, dass Mirko das Mädchen sehr nett fand und mit ihm spielen wollte. Durch sein Tun erreichte er auch genau das. Das Mädchen lief hinter ihm her. Zudem „stand“ er auf die Farbe Rot. Die Tränen hatten für ihn keine Bedeutung, er konnte sie nicht als soziales Signal dechiffrieren. Mit Mirko wurde die Förderung um Rollenspiele zur Kontaktaufnahme erweitert, ebenso wie das Thema Freude und Traurigkeit in vielen Situationen besprochen, aufgegriffen und in Spielsituationen trainiert.

Zusammenfassende Tipps, die Kindern mit ASS den Schulalltag erleichtern können

  • Sorgen Sie für Transparenz und Übersichtlichkeit im Schulalltag.
  • Hängen Sie einen gut lesbaren Wochenstundenplan im Klassenraum auf.
  • Visualisieren Sie die Stundentafel möglichst mit Stichpunkten zum Lerninhalt.
  • Ein Mitteilungsbrett in der Klasse für Notizzettel, bei kurzfristigen Veränderungen.
  • Achten Sie auf eine Grundordnung im Klassenzimmer, die nach Unterricht auch wieder hergestellt wird.
  • Achten Sie auf die Einhaltung der Klassendienste und lassen Sie sich von dem Kind mit ASS hierbei unterstützen.
  • Kopfhörer können eine gute Hilfe sein, um konzentrierter arbeiten zu können.
  • Lassen Sie die Arbeitsaufträge von dem ASS Kind nochmals wiederholen.
  • Decken Sie Teile des Arbeitsblattes oder des Buches die nicht zur Aufgabe gehören ab, wenn das Kind oft in der Zeile verrutscht oder kaum arbeitet, da der visuelle Input zu groß ist.
  • Bieten Sie einen Rückzugsort an, möglicherweise auch für manche Pausen (ein Sofa in der Ecke, eine Sitzgelegenheit hinter einem Paravent).

Damit die Tipps auch greifen, die sie anwenden, besprechen sie diese mit dem ASS Kind. Machen Sie ihm klar, wofür die einzelnen Erleichterungen gedacht sind. Arbeiten Sie an seiner Einsicht, indem Sie Verständnis für seinen oft sehr anstrengenden Schulalltag zeigen. Hat ihr ASS Kind eine oder mehrere besondere Interessen, geben Sie diesen Raum. Lassen Sie es davon erzählen oder gestaltete Dinge mit in den Unterricht bringen. Das stärkt das Selbstvertrauen und hilft seiner Anerkennung innerhalb der Klasse oft enorm auf die Sprünge. Ich habe schon Wellensittich- und Hühnerexpert/-innen gehabt, die unsere Klassengemeinschaft immer wieder bereichert haben.

Christine Frank


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