Wie erklären Sie Kindern den Krieg?
Ihre Schüler/-innen haben Angst durch den Krieg in der Ukraine? Wir zeigen Ihnen, wie Sie als Lehrkraft damit umgehen können und Ihren Schützlingen den Krieg erklären.

Der Krieg ist in Europa praktisch über Nacht angekommen. Bilder von Bombern, vorrückenden Panzern, zerstörten oder brennenden Häusern, von Angst, Verzweiflung, Leid und Verletzungen der Menschen sind allgegenwärtig. Es lässt sich kaum verhindern, dass auch die Kinder mit solchen Bildern und Nachrichten konfrontiert werden. Was macht das mit ihnen? „Die Kinder haben Angst, so wie wir auch“, sagt Psychologin Elisabeth Raffauff am 24.02.2022 in der Abendschau des Bayerischen Rundfunks. Sie spüren die Unsicherheit der Erwachsenen und das verunsichert sie dann auch. Insbesondere die Eltern „repräsentieren den Gefährdungsgrad der Situation“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Michael Huss im Interview mit der ARD-Tagesschau: Wenn sie „Panik kriegen, dann wissen Kinder, es ist was Schlimmes passiert.“
Auch Sie als Lehrkraft sind nun eine wichtige Anlaufstelle bei Fragen und Ängsten der Kinder. Der folgende Beitrag unterstützt Sie bei dieser Herausforderung mit den wichtigsten Tipps von Kinderpsychologen, Ideen für den Schulalltag und Links zu kindgerechten Informationsangeboten.
Vom richtigen Umgang mit Ängsten
Auch den Erwachsenen macht der unvermittelte Krieg in Europa Angst. Gleichzeitig möchten viele die Kinder am liebsten vor Ängsten bewahren. Wie soll man mit diesem Zwiespalt umgehen?
Jetzt den Kindern sagen „ist doch nicht so schlimm, es ist nichts“ wäre ganz falsch. Die Kinder merken dann „Da stimmt doch was nicht“, sagt Elisabeth Raffauff (Link s. o.). Sie rät deshalb dazu, ehrlich zu sein: „Wenn du jetzt unsicher bist und Angst hast, ist das ein sehr verständliches Gefühl, das teilst du mit ganz vielen.“ Die Kinder bekommen so die Sicherheit, dass ihr Gefühl „richtig“ und berechtigt ist. Und sie erfahren außerdem, dass sie mit ihren Emotionen nicht allein sind.
Auch Michel Huss (Link s. o.) empfiehlt, den Krieg nicht zu „verschweigen“ oder schönzureden, aber auch nicht zu „dramatisieren oder [zu] emotionalisieren“. Vielmehr sollten Eltern oder Lehrkräfte das Thema nüchtern und sachbezogen angehen und ein offenes Ohr für die Fragen der Kinder haben (ebd.). Ebenfalls wichtig: --Darauf achten, was das einzelne Kind auch wirklich bewältigen kann. Und man sollte dann „auch ein Ende finden und nicht die ganze Zeit über Krieg reden“ (ebd.).
Und was können Sie den Eltern von Ihren Schülerinnen und Schülern mit Blick auf mögliche Ängste ihrer Kinder raten? Sie sollten sich am besten jetzt mehr Zeit fürs Zu-Bett-Bringen nehmen, denn: „Mögliche Belastungen lassen sich oft beim Schlafengehen erkennen“, sagt Michael Huss (ebd.). Die Kinder brauchen dann mehr Zuwendung: Vielleicht möchten sie noch ein wenig über ihre Sorgen sprechen, vielleicht hilft ein Tee oder wenn das Licht noch ein Weilchen brennt und die Tür offen bleibt. Sowohl Michael Huss als auch Elisabeth Raffauff würden das Kind auf Wunsch auch im Elternbett übernachten lassen.
Gut vorbereitet für kindgerechte Gespräche
Im Gespräch mit den Kindern ist es nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden. Deshalb fragt Johanna Wahl im oben verlinkten Tagesschau-Interview mit Michael Huss, was man konkret zu den Kindern sagen könnte. Er schlägt folgende Wortwahl vor:
„Wir leben in einer schwierigen Zeit. Es gibt Krieg in einem Land in unserer Nähe. Das macht uns Erwachsenen Sorgen, weil das schlimm ist für die Menschen, die dort leben. Aber bei uns im Land ist dieser Krieg nicht.“
Der Kinderpsychiater vermittelt den Kindern also klar, dass bei uns keine Gefahr besteht. Und er erklärt auch (in diesem Fall vermutlich nicht so ganz wahrheitsgetreu, denn Putin droht der NATO ja recht massiv), dass er weniger um die in Deutschland lebenden Menschen besorgt ist, als vielmehr um die Ukrainer. Vor allem geht es bei den Gesprächen mit den Kindern darum, ihnen „Orientierung und Sicherheit“ und „auch Hoffnung“ zu geben, betont der Psychologe Klaus Seifried im Interview mit dem Deutschen Schulportal.
In jedem Fall zeigt das Beispiel, dass man sich auf die Fragen der Kinder vorbereiten sollte. Besonders gut klappt das im Kreis der Kolleginnen und Kollegen:
- Man könnte im Plenum ein Brainstorming oder ein Blitzlicht mit tatsächlichen und potenziellen Kinderfragen anregen,
- in Gruppen oder bei Rollenspielen Formulierungen von kindgerechten Antworten erarbeiten und dann
- gemeinsam an den Lösungen „feilen“ und einen exemplarischen Leitfaden zusammenstellen.
Natürlich müssen Sie auch nicht jede Frage gleich beantworten können. Sätze wie „Das weiß ich auch nicht, da muss ich erst drüber nachdenken“ oder „Darüber muss ich mich erst informieren“ zeigen Ihren Schülerinnen und Schülern, dass der Ukraine-Krieg eine komplexe Sache ist und dass Sie die Kinder und ihre Fragen ernst nehmen.
Das rechte Maß für jedes Kind
Was weiß ein Kind? Wie viel Information verkraftet es? Wie gut wird es zu Hause aufgefangen? Wie gestaltet sich sein Medienkonsum? Innerhalb Ihrer Klasse bestehen vermutlich große Unterschiede zwischen den einzelnen Schülerinnen und Schülern.
Nehmen Sie sich auch bei spontanen Fragen Zeit, signalisieren Sie Gesprächsbereitschaft und geben Sie für Gesprächsmöglichkeiten Gelegenheit. Zum Beispiel während Gruppen- oder Stillarbeitsphasen. Für Kinder im Grundschulalter sind „stabile Beziehungsangebote“ das „Allerwichtigste“, sagt Klaus Seifried (Link s. o.).
Er empfiehlt Lehrkräften, nicht „gleich eine Vollversammlung einzuberufen“, sondern „sensibel (...) für die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler“ zu sein. Am besten lassen Sie die Kinder mit ihren Fragen von selber kommen, und fragen behutsam nach. Klaus Seifried rät dazu „erst mal mit offenen Fragen auf die Kinder zugehen: ‚Wie geht es euch heute?‘ ‚Gibt es ein aktuelles Thema?‘“ Wenn darauf nichts kommt, muss das Kriegsthema auch gar nicht angesprochen werden. Wenn aber „Spannung in der Gruppe ist“, sollte man in der Klasse über den Krieg sprechen (ebd.).
Den Wunsch nach Frieden malen
Auch „Aktivität gibt ein Stück Sicherheit in Krisen“, so Seifried. Nicht jedes Kind kann sich verbal artikulieren. Deshalb ist es wichtig, den Kindern andere Kanäle und Möglichkeiten des Ausdrucks anzubieten.
Eine Idee dazu schildert ein Lehrer aus Sachsen-Anhalt (ebd. auf der Seite mit dem Seifried-Interview): Er ist mit Dritt- und Viertklässlern an einem sonnigen Mittag auf den Schulhof gegangen. „Mit Kreide und vorher gesammelten Ideen, haben wir unseren Wunsch nach Frieden in kleinen und größeren Bildern auf dem Boden des Schulhofes gemalt.“ Die Kinder zeichneten Herzen, Regenbögen, Blumen, bunte Friedenssymbole, die Farben der Ukraine, und der Lehrer konnte dabei ganz nebenbei „einiges von den Kindern erfahren, was sie bereits über den Krieg wussten, wie sie diesen Krieg finden oder welche Gedanken in ihren Köpfen kreisen“ – ein tolle Idee, die sich ohne viel Aufwand und Vorbereitung ad hoc umsetzen lässt!
Wenn die Eltern ablehnen, dass Krieg thematisiert wird
Was tun, wenn die Eltern eines Kindes nicht möchten, dass der Krieg im Unterricht thematisiert wird? Dann sollte man das „zunächst einmal ernst (...) nehmen“ und den Grund in Erfahrung bringen, raten die Politik-Didaktiker der TU Dresden in ihrem Leitfaden zum Ukraine-Krieg als Unterrichtsthema: Geht es den Eltern „um die psychische Belastbarkeit und Verfasstheit des Kindes“, dann ist das „ein wertvoller und unbedingt zu berücksichtigender Umstand“, so die Experten. In diesem Fall sollten Sie Hilfsangebote unterbreiten und „bei Thematisierungen von Krieg und Flucht Rückzugsstrategien“ einplanen. Also konkret: „Ich bin nach dem Unterricht noch länger da, wer Redebedarf hat oder noch etwas wissen möchte, kann gerne kommen.“
Die Sprache der Kinder (und Eltern) sprechen
Gerade Kinderredakteure haben sich darauf spezialisiert, komplexe und oft auch heikle Themen so aufzubereiten, dass sie für die Kinder verkraft- und verstehbar werden. Zum Ukraine-Krieg gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, im Überblick zum Beispiel auf der Linkliste des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz. Von hier gelangen Sie etwa auf die Sonderseite „Ukraine“ der Sendung mit der Maus – auch sehr gut für Lehrkräfte geeignet, die sich auf die Schnelle informieren oder sich auf das richtige Wording im Gespräch mit den Kindern einschwingen möchten. Hier werden übrigens auch die wirklich heißen Eisen angepackt und kindgerecht erläutert: „Wird Putin eine Atomrakete auf die Ukraine schießen?“ fragen da z. B. Jenny und Elijah. Und die Maus-Redaktion spricht ganz offen an, dass alle „diese Nachrichten zum Krieg in der Ukraine (...) ganz schön Angst machen“ können.
Last but not least sei noch auf ein interessantes Angebot der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz hingewiesen, wenn Sie Kinder von erst kürzlich eingewanderten Familien unterrichten: Die Redaktion hat einen Leitfaden zum Thema „Mit Kindern und Jugendlichen über Krieg reden“ zusammengestellt. Er bringt die wesentlichen Empfehlungen wie Zeit nehmen, Sorgen ernst nehmen, ehrlich sein, über medial Erlebtes reden u.v.m. auf den Punkt. Und er kann in fünf verschiedenen Sprachen angeklickt werden: Ukrainisch, Polnisch, Arabisch, Rumänisch und Russisch. Eine echte Hilfestellung für die Eltern der Familien mit den erstgenannten drei Muttersprachen, von denen ja manche bereits Krieg und Gewalt am eigenen Leib erfahren mussten.
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