Übung: Gezielte Sinnesförderung hilft Asperger Kindern
Kinder mit Asperger-Verhalten haben es im Schulalltag schwer. Wir stellen Ihnen eine Übung vor, die sicher keine Wunder vollbringt. Aber regelmäßig angewendet, wird sich damit eine Besserung erzielen können.

Peter kam zu uns in die zweite Klasse einer integrativen Schule. Er war ein Junge mit dem klassischen Bild eines Asperger-Kindes. Seine Interaktionsmöglichkeit mit anderen Kindern waren eingeschränkt. Das mimische und gestische Entziffern von Mitteilungen seiner Klassenkameraden überforderte ihn genauso wie ihre bildhaften Äußerungen (nagelneu, Höllenlärm), die er immer wörtlich nahm. Das führte teils zu lustigen Missverständnissen für uns Lehrkräfte, teils aber auch in Wut- und Tränenausbrüchen bei Peter und seinen Mitschüler/-innen. Er brauchte viel Unterstützung bei feinmotorischen Anforderungen wie Schneiden, Stift und Pinselführung. Er hatte ein Faible für rote Autos und eine beträchtliche Sammlung davon und kannte jeden Typ, Baujahr und Ort. Am liebsten hielt er uns Vorträge über Dieselmotoren und Reifenprofile, ungeachtet, ob wir uns dafür interessierten oder nicht. Seine sprachliche Modulation war monoton, seine Ausdrucksweise gewandt und sie klang etwas altklug. Er bestand darauf, dass seine Tasche immer neben dem Tisch stehen musste und der Kakao durfte keinen Strohhalm haben. Solche stereotypischen Festlegungen, Wissensstärken und empathischen Schwächen sind ganz typisch für Kinder mit dem Asperger-Syndrom. Diese frühkindliche Entwicklungsstörung zeigt sich in der Ausprägung ihrer Symptomatik sehr individuell und inhaltlich verschieden.
Die Montagskarte verschwindet
Peter schaffte es immer wieder am Montagmorgen die Montagskarte vom Tageskalender verschwinden zu lassen. Er war so flink und geschickt, dass es über Wochen niemand mitbekam. Die Karte war einfach verschwunden und wurde ersetzt, bis wir beim Reinemachen die Karten hinter dem Schrank fanden. Wir hatten Peter schon in Verdacht, denn die Mutter erzählte, dass Peter zu Hause Dinge wie Handys, Fernbedienungen, Hausaufgabenhefte einfach verschwinden lässt, wenn sie ihn „irgendwie“ störten. Aber bislang war Peter völlig überzeugend. Mit ruhiger und emotionsloser Mimik stritt er es immer wieder ab. Als die Karten auftauchten, wedelte er mit den Händen, das tat er immer, wenn er aufgeregt war. Es war ihm unangenehm und er gab es sofort zu. „Montage sind schrecklich, es ist laut. Alle rufen und machen alles durcheinander. Zu Hause liebe ich das Wochenende, da ist Ruhe.“ so schrie uns Peter seine Begründung entgegen. Hier wurde uns deutlich, dass er den Wochenstart meinte verhindern zu können, wenn die entsprechende Karte fehlte. Seine Logik: Keine Montagskarte = kein Montag findet statt, sind klassische Gedankengänge und Strategien, mit der Asperger Autisten versuchen in die Alltagswelt verändernd einzugreifen. So hoffen sie den stark verunsichernden Sinnesüberreizungen und den als diffus erlebten Geschehnissen zu entkommen.
Hypersensibilität mit der Sinnesübung begegnen
Peter war ein sehr empfindsamer Junge. Nichts entging ihm im Klassenzimmer, denn sein Wahrnehmungsradar war ständig auf Empfang. Das erschwerte ihm, bei seinen Aufgaben zu bleiben. Seine Intelligenz war im Normalbereich. Am unangenehmsten war für ihn seine auditive und visuelle Hypersensibilität. Sie bereitete ihm richtig Probleme. Manchmal konnten wir ihm einen Einzelplatz in einer ruhigen Flurnische anbieten, aber der Unterricht fand nun mal im Klassenraum statt. Zeitgleich als Peter in unsere Klasse kam, nahm ich an einer körpertherapeutischen Weiterbildung zur „Sinneswahrnehmung“ teil. Hier gab es eine Sinnesübung, die einerseits die Übersensibilität abbaute, die Sinne koordinierte und dort, wo wenig Input und Verarbeitung stattfand, wurde sie aufgebaut. Diese Übung wurde Peters Übung. In den Förderstunden und zwei bis dreimal bevor der Unterricht losging, machte er sie. Sie tat ihm so gut, dass er sie auch zwischendrin im Unterricht machte. Inzwischen hatte auch die Klassengemeinschaft gefallen an der „Monster-Übung“, so hatten sie sie getauft, gefunden. Sie erhielt einen festen Platz bei unseren Bewegungseinheiten. Peter wurde geduldiger mit sich und anderen. Sein Interesse an Freundschaften war grundsätzlich nicht besonders groß. Aber er ließ sich jetzt immer mal wieder auf kleine Zusammenarbeitsphasen mit einem Mädchen ein, dass er gut leiden konnte. Da die Übung so effektiv ist, stellen wir diese hier einmal vor.
Das „Monster“ die Sinnesübung
Ganz wichtig: Die Übung soll Spaß machen und sie ist freiwillig! Alles andere wäre kontraproduktiv. Starten Sie mit einer kurzen Besinnungssequenz:
- „Das Monster überprüft zuerst, ob alle seine Körperteile noch da sind.
- Das geht so: Stellt euch so hin, sodass eure Füße schulterbreit auseinanderstehen.
- Schließt die Augen, atmen dreimal tief in den Bauch und spürt eure Füße, die Knie, die Oberschenkel, den Bauch, den Oberkörper, den Kopf und zum Schluss den ganzen Körper.
- Hat das Monster die Körperteile noch alle ????? Dann geht es jetzt weiter.
Das Monster erwacht: (Stufe 1)
- Faltet eure Hände im Nacken zusammen und klappt die Ellbogen gerade nach außen.
- So ist der Monsterstand, indem bleibt ihr bis zum Schluss.
- Schaut jetzt gerade aus. Macht riesengroße Augen, damit ihr alles sehen könnt.
- Jetzt bläht eure Naseflügel auf, atmet durch die Nase und die Augen bleiben weit auf.
- Dann zieht eure Ohrmuskeln zusammen, die um die Ohren sind. Augen weit auf und gut durch die Nase atmen.
- Endlich macht den Mund weit auf und streckt ihr die Zunge so weit raus, wie es geht. Augen weit, Nasenatmung, Ohren angespannt. Aber kein Mucks, das Monster will sich nicht verraten.
- Kommt langsam aus der Monsterhaltung raus. Jetzt ist das Monster wach.
Das Monster trainiert seine Sinne: Stufe 2:
Wenn Stufe 1 gut funktioniert, kann Stufe 2 probiert werden.
- Genau wie Stufe 1, den Monsterstand einnehmen.
- Doch jetzt werden die Sinne einzelnen trainiert.
- Die Reihenfolge ist jetzt egal.
- Die Augen so lange großhalten und atmen wie möglich, der Mund … kreative Kombinationen sind gewünscht:
- die Ohren mit dem Mund und rausgestreckter Zunge,
- die Nase mit den Augen und so weiter.
Diese Übungen aus der Teschler Lernförderung reguliert und koordiniert die Sinnesorgane. Aufgrund lebensgeschichtlicher Ereignisse können sie ihre optimale Funktion eingebüßt oder gar nicht erst richtig ausgebildet haben. Gestörte Sinnesfunktionen können auch zu Lernunsicherheiten und -schwierigkeiten führen. Freiere Sinne füttern die Intelligenz, denn sie sind das Tor zur Welt.
Peter brachte mehr Offenheit ins Klassenklima
Am Ende der Klasse vier hatte Peter auch seine Konzentrationsleistung deutlich erhöht. Hier gaben die KonzCoaches ihm handfeste Unterstützung. Mal machten sie mit ihm den Rennfahrer oder marschiertenmit ihm gemeinsam. Seine Sensibilität war viel besser ausbalanciert. Er schrieb jetzt in den Kummerkasten, was ihn nervte. Er hielt die Diskussionen im Klassenrat darüber aus. Manchen Anliegen konnte stattgegeben werden, andere musste er hinnehmen (wie Gesang im Musikunterricht). Peters Anwesenheit in unserer Klasse nötigte uns zu einem grundsätzlich offeneren und respektvollen Umgang miteinander. Seine teils „eigenwilligen“ Ansichten brachten uns zum Nachdenken auch über unsere Eigenheiten, Lernstärken und -schwächen. Sie trugen zu einem kooperativen Klassenklima bei, indem dem alle viel lernen konnten: Menschen sind vieldimensional und Kommunikation ist kein Selbstläufer, weder für den Menschen mit Asperger Autismus noch für uns „Normalos“.
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