Diese Bedingungen begünstigen Mobbing
Sobald sich in einem sozialen Gefüge etwas verändert, steigt der Aggressionspegel. Denn dann geht es darum, den sozialen Status zu wahren - und wenn möglich zu verbessern. Das sind beste Bedingungen für Mobbing.

Ob Gefängnisse, militärische Einrichtungen, die Arbeitswelt oder Schulen – für den Mobbing-Experten Alexander Ottlik bieten klare hierarchische Systeme mit einer starren sozialen Organisationsstruktur den besten Nährboden für Mobbing. Denn die Gruppen finden sich nicht freiwillig zusammen, ihre Zusammensetzung ist „von oben“ verbindlich diktiert, wie es beispielswiese in schulischen Klassenverbänden der Fall ist. In der Regel ist es für Mobbing-Opfer deshalb kaum möglich, aus dem Gruppenkontext zu entkommen. Etwas anders verhält es sich nur in der Grundschule, wo Beziehungen meist dyadisch, das heißt von Zweierkonstellationen bestimmt sind, wie Verena Habermeier in ihrer Arbeit zum Thema „Mobbing als Gruppenphänomen“ schreibt. Die Klasse als soziales Gefüge spielt demnach keine wesentliche Rolle, weshalb Opferrollen weniger stabil sind.
Der Mobbingberater Werner Ebner bietet auf seiner Website Informationen, konkrete Tipps für die Praxis, Downloads (beispielweise Klassenregeln) und nützliche Links speziell für Lehrer.
Täter traktieren und taktieren für Macht
Mechthild Schäfer und Stefan Korn beschreiben in ihrem dynamischen Modell, wie Mobbing-Täter im Sozialgefüge einer Klasse ihre Macht manifestieren. Die Schüler mit ausgeprägtem Dominanzstreben starten dafür aggressive Übergriffe auf verschiedene Mitschüler. Sie stoßen teils auf Ablehnung und Gegenwehr, finden aber auch geeignete Opfer, die sich nicht wehren. Durch gerechtfertigt erscheinende Angriffe provozieren die Täter nun gezielt unangemessene Gegenaggression der Opfer und versuchen so, die sozialen Normen zu ihren Gunsten und zu Ungunsten des Opfers zu beeinflussen. Die Mitschüler gewinnen dabei zunehmen den Eindruck, das Opfer hätte die Schikanen verdient.
Die systematischen Attacken demonstrieren also ein soziales Machtgefälle: Das Opfer verliert seinen sozialen Rückhalt, während sich die Machtposition des Täters stabilisiert. Mitschüler beziehen zu den kontinuierlichen Attacken in der Regel eine Position, mit der sie ihren eigenen sozialen Status wahren oder verbessern können. Das Fatale daran: Wenn Täter die Macht gewinnen, ändern sich die sozialen Normen innerhalb einer Klasse. „Prosoziales Verhalten kann dann als ein Verstoß gegen geltende Regeln verstanden werden und zu einem niedrigeren sozialen Status führen als Aggression“, schreibt Habermeier dazu.
Kritische Situationen für die Entstehung von Mobbing
Im Laufe eines Schülerlebens gibt es immer wieder gravierende Änderungen in den persönlichen Beziehungen zu Klassenkameraden und in der Klassenstruktur. Im ersten Jahr der Grund- oder weiterführenden Schule sind die Kinder beispielsweise mit einer komplett neuen Klasse konfrontiert. Später zerbrechen Freundschaften oder Cliquen gruppieren sich um, es kommen neue Schüler und „Sitzenbleiber“ dazu oder die Klassen einer Jahrgangsstufe werden neu zusammengestellt. In all diesen Situationen geraten die sozialen Kräfte durch eine Umstrukturierung aus dem Gleichgewicht, heißt es bei Habermeier. Individuelles Dominanzstreben wird somit möglich, und aggressives Verhalten tritt vermehrt auf. Das ist die Stunde der „Täterfraktion“ - die Mobbing-Gefahr steigt.
Literaturangaben:
Habermeier, Verena: Mobbing als Gruppenphänomen. Zum Zusammenhang zwischen Mitschülerrollen und Freundschaften bzw. sozialem Status. Magisterarbeit, LMU München, Typoskript. München 2006.
Ottlik, Alexander: Inwieweit werden Lehrer, wenn sie mit Mobbing unter Schülern konfrontiert sind, durch ihre persönlichen Einstellungen und das Klima ihres Arbeitsumfeldes beeinflusst? Magisterarbeit LMU München, Typoskript. München 2005.
Schäfer, Mechthild und Korn, Stefan: Mobbing in der Schule. In: Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (Hrsg.). Kinderreport Deutschland 2004 a. München: Kopaed. S. 275-286.
Schäfer, Mechthild und Korn, Stefan: Mobbing als Gruppenphänomen: Eine Adaption des „Participant Role Ansatzes“. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie. 2004 b, 36, S. 19 – 26.
Keine Chance für Mobbing in Umbruchsituationen
Bei Veränderungsprozessen in der Klasse brauchen Schüler deshalb besonders viel Aufmerksamkeit und Unterstützung. Hilfreich ist dabei beispielsweise ein regelmäßiger Austausch zwischen Lehrern und Schülern in vertrauensvoller Atmosphäre oder die Stärkung der Klassengemeinschaft durch gemeinsame Aktionen der Schüler. Natürlich muss sich die Klasse auch „zusammenraufen“, denn die Rangfolge wird so oder so neu ausgefochten. Eine gute Gelegenheit für Prävention im Unterricht, denn in dieser Situation sind Strategien zur konstruktiven Bewältigung von Konflikten und Aggressionen für die Schüler besonders wichtig. Verbindliche Klassenregeln, die Schüler und Lehrer gemeinsam erarbeiten, geben Sicherheit und einen festen Rahmen, wodurch das Mobbingrisiko sinkt. Gerade die sozial schwächeren Kinder und Jugendlichen geraten in dieser Phase leicht ins soziale Abseits. Kooperative Unterrichtsprojekte fördern hingegen den Klassenzusammenhalt und geben den weniger wehrhaften Schülern Gelegenheit, ihre Stärken zu zeigen.
Wenn aus Freunden Feinde werden
Dass Mobbing besonders dann aufkommt, wenn sich neue Klassen formieren, bestätigen auch zahlreiche Berichte von Eltern und Betroffenen. Schüler machen dabei häufig die schmerzliche Erfahrung, dass frühere Freundinnen und Freunde plötzlich ein ganz anderes Gesicht zeigen. Eine Mutter – selbst Lehrerin – schreibt beispielsweise im Erzählforum von „mobbing-schluss-damit.de“: „(...) seit der Einschulung auf die neue Schule hat sich dieses Mädel (eine Freundin aus der Grundschule, d. Red.) meiner Tochter gegenüber total gewandelt! Sie schließt sie oft aus, erzählt Lügengeschichten über meine Tochter und lügt auch so relativ viel (...)! Und natürlich tuschelt sie mit anderen Mädchen hinter dem Rücken meiner Tochter!“
Namhafte Mobbingexperten beantworten in dem Forum die Fragen von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Vor allem die immer wieder auftauchenden Fragen „Wie kann man sich das erklären?“ und „Was kannst du tun?“ werden anschaulich beantwortet – ein guter Ansatz für Lehrer, die Mobbing in neu zusammengestellten Klassen thematisieren wollen.
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