Schwänzen für den Klimaschutz — wie reagieren?
Deutschlandweit demonstrieren Schüler freitagvormittags für den Klimaschutz. Zu Recht sagen die einen, aber das Schulrecht sagt etwas anderes. Wie also sollten Schulen und Lehrer darauf reagieren?

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“, skandierten Schülerinnen und Schüler am 14.12.2018 vor dem Berliner Reichstagsgebäude. Hier und in vielen weiteren deutschen Städten boykottieren Schülerinnen und Schüler den Unterricht und demonstrieren für Klimaschutz und den sofortigen Kohleausstieg, wie der Deutschlandfunk berichtete.
Die Schüler-Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ wächst rasant, seit die 2003 geborene schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg erstmals im August 2018 vor dem Schwedischen Reichstag zum Schulstreik für das Klima aufgerufen hatte. An den Freitagsdemonstrationen nehmen Schüler in ganz Europa und mittlerweile auch schon in Australien teil. Am 18.01.2019 waren es über 30.000 Schüler in mehr als 50 Städten, die für den Klimaschutz demonstrierten, so die Veranstalter auf ihrer Website fridaysforfuture.
Demonstrieren statt die Schulbank zu drücken — wie sollten Schulen am besten reagieren? Was sagen Rechtsexperten dazu? Und gibt es Möglichkeiten für Ihre Schüler, auf „legalem“ Weg an einer Freitagsdemonstration teilzunehmen? — Diesen Fragen widmet sich der folgende Beitrag.
Schulpflicht versus Recht auf Demonstrationsfreiheit
Bei den Schülerdemos stehen sich zwei Grundrechte gegenüber: Einerseits der Erziehungsauftrag der Schule, der in Artikel 7 GG geregelt ist. In Artikel 5 des Grundgesetzes ist die Meinungsfreiheit, in Artikel 8 GG die Versammlungsfreiheit und noch die „Allgemeine Handlungsfreiheit“ festgeschrieben. „All das muss gegeneinander abgewogen werden“, sagt Rechtsanwalt Christian Solmecke in einem siebeneinhalbminütigen Video zum Thema „Dürfen Schüler streiken und dafür schwänzen?“
Schüler haben zwar kein Streikrecht wie Arbeitnehmer (Artikel 9 GG), dafür aber das Recht auf sogenannte Spontandemonstrationen aus aktuellem Anlass, „die im Hier und Jetzt und ungeplant stattfinden und die gehen sogar während der Schulzeit“. Der Beschluss und die Durchführung zur Demo müssen dabei zusammenfallen, es darf also nicht im Vorfeld organisiert oder dazu aufgerufen werden. Demgegenüber sind jedoch die „Fridays for Future“-Demos geplant. „Da sieht es so aus, dass man zunächst ‘mal eine Schulpflicht hat“, sagt Solmecke.
Schüler können sich vom Unterricht beurlauben lassen
Nach Ansicht des Rechtsanwalts könnten Schüler sich jedoch vom Unterricht beurlauben lassen, um an der Klimaschutzdemonstration teilzunehmen. Das ist gemäß der Schulordnungen der verschiedenen Länder aus „zwingenden Gründen“ möglich.
Doch ist so eine Klimademonstration ein zwingender Grund? Nach Ansicht von Solmecke ja, wenn man eine Klimaschutzdemo mit „banaleren“ Gründen wie kirchlichen oder Sport-Veranstaltungen vergleicht, die ja von Schulen auch akzeptiert werden. Zudem lernten die Schüler dabei, „die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen (...) und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen“, wie das zum Beispiel in § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes verankert ist. „Beurlaubung“ wäre also ein gangbarer Weg, um an den Freitagsdemonstrationen teilzunehmen. „Vielleicht nicht jeden Freitag, (...) aber ab und an sollte eine Beurlaubung möglich sein“, so Solmecke.
Schulpflicht und Unterricht gehen vor
„Grundsätzlich gilt die Schulpflicht.“ Das betont auch Philipp Bender, der stellvertretende Pressesprecher des Hessischen Kultusministeriums auf der Website „Das Deutsche Schulportal“ (DDS). Jede Schulleitung könne sich auf den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 25.05.1973 [!] berufen. Wörtlich heißt es hier: „Die Teilnahme an Demonstrationen rechtfertigt nicht das Fernbleiben vom Unterricht oder eine sonstige Beeinträchtigung des Unterrichts“ (KMK-Beschlüsse „Zur Stellung des Schülers in der Schule“, verlinktes PDF auf dem Deutschen Schulportal, S. 12).
Natürlich werfen die regelmäßigen Freitagsdemonstrationen auch die Frage auf, warum denn unbedingt während der Schulzeit demonstriert werden muss. „Aus rein juristischer Sicht gibt es keinen Grund, weshalb jetzt ausgerechnet freitagsvormittags demonstriert werden muss“, so Bender auf der DDS-Website. — Noch ein Grund mehr, warum Kultusministerien und Schulleitungen hier auf die Einhaltung der Schulpflicht pochen können.
Konsequenzen bei unentschuldigtem Fehlen
Rechtsanwalt Solmecke rät im oben verlinkten Video von unentschuldigtem Fernbleiben vom Unterricht ebenfalls ab, denn dann drohten Ordnungs- und Erziehungsmaßahmen: Das können etwa Strafarbeiten, Nachsitzen oder schriftliche Ermahnungen sein, und in Baden-Württemberg könne sogar „eine Geldbuße gegenüber Schülerinnen und Schülern und deren Eltern verhängt werden“, so Fabian Schindler in seinem Beitrag auf der DDS-Website (Link s. o.).
In der Praxis reagieren Schulen recht unterschiedlich auf den Schülerstreik fürs Klima. So berichteten die Nürnberger Nachrichten am 1.02.2019, dass einige mit Verweisen, andere mit „pädagogischen Arbeiten“ sanktionierten, und wieder andere ermunterten ihre Schüler sogar zum Demonstrieren.
Viele Lehrer begrüßen das Engagement ihrer Schüler für den Klimaschutz. „Kritisch“ könne es aber für Lehrkräfte werden, wenn sie „ohne Rücksprache mit der Schulleitung ihre Klasse zum Demonstrieren während der Unterrichtszeit ermuntern“, schreibt Fabian Schindler auf der Website des Deutschen Schulportals, dies könne „disziplinarrechtliche Folgen haben“. Selbst die Veranstalter rieten deshalb „zu Vorsicht und zu klärenden Gesprächen der Lehrkräfte mit ihrer Schulleitung“.
Alternativen zu Strafen suchen
Schulen sollten nicht mit Strafen reagieren. Diese Ansicht vertritt Susanne Klein in ihrem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung. Die demonstrierenden Schüler möchten ja gerade mit dem Demonstrieren während der Schulzeit ein Zeichen setzen. Tenor: „Warum sollen wir für die Zukunft lernen, wenn diese uns durch eine verfehlte Klimapolitik „versaut“ wird?“ Mit diesem Standpunkt hätten die Schüler ja „auch recht“.
Angesichts „der gesellschaftlichen und bildungspolitischen Bedeutung von Demonstrationen“ bevorzugt es auch Philipp Bender, „einen konstruktiven Dialog zwischen Schulleitung, Lehrenden und Schülerinnen und Schülern zu befördern, statt den Weg der Konfrontation zu gehen“ (vgl. Website „Das Deutsche Schulportal“, Link s. o.). Der Rechtsexperte plädiert deshalb ebenfalls für eine Beurlaubung.
Natürlich gibt es viele weitere Möglichkeiten, um die „Fridays for Future“-Demonstrationen in der Schule konstruktiv zu begleiten und zu nutzen: Ohnehin wird das Thema Klimaschutz im Rahmen des „Globalen Lernens“ und der Bildung für nachhaltige Entwicklung immer häufiger in verschiedenen Fächern aufgegriffen. So könnte es etwa den Schülern am Ende eines mehrtägigen Klimaschutz-Projektes im Unterricht am Freitag zur Wahl gestellt werden, ob sie an der Demonstration teilnehmen oder sich lieber im Unterricht mit dem Klimawandel befassen möchten.
Susanne Klein schlägt vor, dass Schulen „den verpassten Vormittag an einem extra Nachmittag nachholen“. Dann könnten sie mit den Schülern über „politische Protestformen (...) und was man noch fürs Klima tun könnte“ diskutieren. — Eine gute Alternative zu Strafen, die sogar Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des deutschen Lehrerverbands, befürwortet.
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